VGH Baden-Württemberg, 20.11.2014 - 10 S 1883/14: Auch ständige Parkverstöße können zur MPU führen
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hatte sich in einem Beschluss vom 20.11.2014 mit dem Fall eines Kraftfahrers zu beschäftigen, der sich bewusst und gewollt viele Jahre lang über Vorschriften des ruhenden Verkehrs hinweggesetzt hatte. Aus dem Zeitraum von Januar 2004 bis Mai 2010 waren mindestens 151 Fälle bekannt, in denen der Kraftfahrer gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs (insbesondere Parken im Halteverbot und auf Gehwegen, aber auch Parkverstöße in einer Feuerwehrzufahrt, auf einem Radweg, auf Behindertenparkplätzen usw.) verstoßen hatte.
Im entschiedenen Fall hatte die Fahrerlaubnisbehörde dem Kraftfahrer schließlich die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ("MPU") auferlegt. Die Behörde stützte diese Anordnung (offenbar) auf die Bestimmung des § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 FeV, die wie folgt lautet:
"(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 1 und 2 angeordnet werden,
...
4. bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften,
..."
Nachdem sich der Fahrerlaubnisinhaber weigerte, dieser Anordnung nachzukommen, sah sich die Fahrerlaubnisbehörde gezwungen, aufgrund der Bestimmung des § 10 Abs. 8 S.1 FeV:
"(8) Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. ..."
i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 StVG:
"(1) Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. ..."
die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dabei ordnete die Behörde auch die sofortige Vollziehung an, so dass auch eingelegte Rechtsmittel (zunächst) nichts daran änderten, dass der Fahrerlaubnisinhaber von seiner Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung keinen Gebrauch mehr machen durfte.
Der Fahrerlaubnisinhaber rief hiergegen die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Ziel an, u.a. die sofortige Vollziehbarkeit zu beseitigen.
Mit diesem Ansinnen hatte er allerdings keinen Erfolg. Der VGH kam aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten zu dem Ergebnis, dass der rechtsschutzsuchende Fahrerlaubnisinhaber im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben werde.
(Symbolbild)
Auch wenn, was der VGH nicht verkannte, die in Rede stehenden Verkehrsverstöße nicht zu Eintragungen in das Verkehrszentralregister führten, also nicht "punktebewehrt" waren, könnten diese im Ausnahmefall gleichwohl in ihrer vorliegend gegebenen Häufigkeit und Beharrlichkeit durchgreifende Zweifel an der Kraftfahreignung begründen:
"Eine solche besondere Ausnahmekonstellation kann auch vorliegen, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber durch die beharrliche und häufige Begehung von - isoliert betrachtet nicht gewichtigen - Verkehrsverstößen verkehrsauffällig geworden ist und sich aus einem derartigen Verhalten Eignungsbedenken in charakterlicher Hinsicht ableiten lassen (Senatsbeschluss vom 05.05.2014 - 10 S 705/14 - a.a.O.). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insoweit geklärt, dass bei der Prüfung der Kraftfahreignung geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeiten, insbesondere Verstöße gegen Vorschriften des ruhenden Verkehrs, grundsätzlich mit Blick auf ihr geringes Gefährdungspotential außer Betracht zu bleiben haben. Nur ausnahmsweise schließen aber auch Zuwiderhandlungen dieser Art die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt und offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und diese hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht." (Rdnr. 6)
Dabei hob der VGH ausdrücklich hervor, dass eine derartige Ausnahmesituation nicht erst dann vorläge, wenn die zugrundeliegenden Verstöße wöchentlich - und nicht wie wie vorliegenden Fall im Durchschnitt nur zweimal pro Monat - begangen würden:
"Der Einwand der Beschwerde, der Antragsteller sei nicht wöchentlich - wie es das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg für begründete Eignungsbedenken verlange -, sondern im Durchschnitt nur zweimal pro Monat zur Anzeige gelangt, greift nicht durch. Der Senat teilt nicht die Auffassung, dass der Häufigkeit von geringfügigen Verkehrsverstößen im Sinne einer Faustformel nur dann eine Aussagekraft zuzuerkennen ist, wenn im Jahresdurchschnitt nahezu wöchentlich ein geringfügiger Verkehrsverstoß zur Anzeige gelangt (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.10.2008 -1 M 10.08 -a.a.O., ähnlich Beschluss vom 10.12.2007 - 1 S 145.07 - a.a.O.). Abgesehen von der allgemein bekannten erheblichen Dunkelziffer bei der Begehung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, kommt es für die Feststellung, ob dem Verkehrsverhalten des Betroffenen bereits ein solches Gewicht zukommt, dass Bedenken gegen seine charakterliche Eignung begründet sind, auf eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände an." (Rdnr. 9)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))