LAG Hessen, 05.08.2015 - 2 S 1210/14:16 Befristungen in 11 Jahren bei wissenschaftlichem Mitarbeiter
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hatte sich in seiner Entscheidung vom 05.08.2015 mit einer Entfristungsklage (Befristungskontrollklage) eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der Justus-Liebig-Universität Gießen zu befassen.
Der 48-jährige Mitarbeiter wurde vom 20. Dezember 2002 bis zum 31. Dezember 2013 aufgrund von 16 befristeten Verträgen beschäftigt.
Gegen die letzte Befristung hatte er entsprechende Klage erhoben und erstinstanzlich beim Arbeitsgericht (ArbG) Gießen obsiegt.
Das LAG hob diese Entscheidung auf und wies die Klage ab; die Revision wurde nicht zugelassen.
Das LAG führte im Urteil unter anderem aus:
Im vorliegenden Fall handele es sich um eine wirksame Befristung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 WissZeitVG. Diese Norm lautet:
"(2) Die Befristung von Arbeitsverträgen des in § 1 Abs. 1 Satz 1 genannten Personals ist auch zulässig, wenn die Beschäftigung überwiegend aus Mitteln Dritter finanziert wird, die Finanzierung für eine bestimmte Aufgabe und Zeitdauer bewilligt ist und die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter überwiegend der Zweckbestimmung dieser Mittel entsprechend beschäftigt wird. ..."
Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen seien im entschiedenen Fall erfüllt. Insbesondere lege auch eine Drittmittelfinanzierung im Sinne der vorgenannten Vorschrift vor.
(Symbolbild)
Nachdem das LAG die Zulässigkeit der (letzten) Befristung als solcher bejaht hatte, stellte sich noch die Frage, ob die neuere Rechtsprechung zu Kettenbefristungen zu einer anderen Bewertung führen könnte (Stichwort: "unionsrechtlich gebotene Missbrauchskontrolle"). Auch dies verneinte das LAG:
"Die Befristung zum 31. Dezember 2013 im Arbeitsvertrag der Parteien vom 20. August 2013 ist auch unter Berücksichtigung der vom Bundesarbeitsgericht in Konkretisierung der nach dem Urteil des EuGH vom 26. Januar 2012 (C 586/10 - Kücük, NJW 2012, S. 989 ff. [EuGH 26.01.2012 - Rs. C-586/10]) unionsrechtlich gebotenen Missbrauchskontrolle (vgl. Urteile vom 29. April 2015 - 7 AZR 310/13, 24. September 2014 - 7 AZR 987/12, 10. Juli 2013 - 7 AZR 761/11, 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09, allesamt zitiert nach Juris) entwickelten Rechtsgrundsätzen nicht rechtsunwirksam."
Denn:
"... Zwar haben die Parteien insgesamt sechzehn aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge mit jeweils unterschiedlichen Laufzeiten über einen Gesamtzeitraum von rund elf Jahren geschlossen, so dass die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung nach dieser Regelung bezeichneten Grenzen hinsichtlich Anzahl der Befristungen und Befristungsdauer um ein vielfaches überschritten wurden. Ob dieser Ansatz angesichts des hier einschlägigen Sonderbefristungsrechts für Hochschulen und Forschungseinrichtungen (ablehnend bezogen auf § 2 Abs. 1 WissZeitVG: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2014-1 Sa 8/13 - Rn. 79, und bejahend bezogen auf § 2 Abs. 2 WissZeitVG: LAG Köln, Urteil vom 6. November 2013-11 Sa 226/13 - Rn. 45 ff., beide zitiert nach Juris) überhaupt gewählt werden kann, muss indes nicht entschieden werden. Zunächst hat das beklagte Land allein bezogen auf die zuletzt zwischen den Parteien vereinbarten drei befristeten Arbeitsverträgen vom 3. Dezember 2012, 27. März 2013 und 20 August 2013 die für das Haushaltsjahr 2013 in Bezug auf die allein noch gewährte Auslauffinanzierung sich ergebenden Prognoseschwierigkeiten im einzelnen dargelegt (Schriftsatz des beklagten Landes vom 29. April 2014 - Bl. 35 und 36 d. A.), die zum Abschluss dieser drei Arbeitsverträge mit sehr kurzen Befristungszeiträumen führten. Auch wenn in der Zeit davor die Dauer der befristeten Arbeitsverträge hinter der Laufzeit der genannten Projekte oder zur Verfügung gestellten Mittel zurückblieb, wobei für die Befristungen in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2010, 1. Januar bis 31. Dezember 2011 und 1. Januar bis 31. Dezember 2012 ein vom beklagten Land mit Hinweis auf die Promotion des Klägers genannter Grund zwischen den Parteien streitig ist, begründet dies für sich allein nicht die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs. Zumal das beklagte Land für die Vergangenheit dargelegt hat, in welchen Zeiträumen der Kläger in welchen Projekten vor dem 1. Januar 2010 gearbeitet hat (Schriftsatz des beklagten Landes vom 29. April 2014 - Bl. 34 bis 36 d. A.). Weiter hat das beklagte Land im Schriftsatz vom 12. Mai 2015 unter Ziffer IV. (Bl. 174 ff. d. A.) im Einzelnen unwidersprochen (§ 138 Abs. 3 ZPO) dargelegt, dass der Kläger in Bezug auf seine Kerntätigkeit der Programmierung im Laufe seiner Beschäftigung nicht durchweg dieselben Aufgaben erledigen musste. Bei der durch die Kammer anzustellenden Gesamtabwägung überwiegt damit die beträchtliche Bedeutung der durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Freiheit von Forschung und Lehre, denn der Förderung der Forschung dient die Regelung in § 2 Abs. 2 WissZeitVG gerade, deren Sinn und Zweck im Fall einer restriktiveren Auslegung, die der Kammer auch vor dem Hintergrund der Richtlinie 1999/70/EG nicht geboten erscheint, ansonsten gefährdet wäre. Schließlich ergibt sich nach Ende der Drittmittelförderung auch kein Dauerbeschäftigungsbedarf beim beklagten Land durch die Anschlussbeschäftigung des Klägers bei der B."
Das LAG stellte somit maßgeblich auf die
"beträchtliche Bedeutung der durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Freiheit von Forschung und Lehre"
ab.
(Quelle: LAG Hessen, Urteil v. 05.08.2015, 2 S 1210/14)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler)