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  • AutorenbildFachanwalt für Arbeitsrecht Michael Kügler

BAG, 20.11.2014 - 2 AZR 755/13: Zum betrieblichen Eingliederungsmanagement bei häufigen Erkrankungen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste sich in seiner Entscheidung vom 20.11.2014 u.a. mit Fragen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) bei häufiger (Kurz-)Erkrankung befassen.

(Hinweis: Am 20.11.2014 erging noch eine weitere BAG-Entscheidung in Sachen bEM. Diese betraf den Fall lang andauernder Erkrankung.)

1.

Hintergrund bildete der Fall eines über viele Jahre immer wieder erkrankten Arbeitnehmers (häufige Kurzerkrankungen). Das KSchG fand Anwendung. Der Arbeitnehmer hatte rechtzeitig innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht erhoben.

Die Kündigung bedurfte daher zu ihrer Wirksamkeit einer sozialen Rechtfertigung (§1 KSchG). In Betracht kam eine Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen als Unterfall der sog. personenbedingten Kündigung.


Symbolbild Arztdiagnose

(Symbolbild)

2.

Das BAG hatte daher zunächst Gelegenheit, nochmals zusammenfassend die einschlägigen Voraussetzungen der Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen darzulegen:

"Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen [...]. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung- dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen." (Rdnr. 16)

Wichtig für den Arbeitgeber ist folgende Indizwirkung aufgrund von Krankheitszeiträumen des Arbeitnehmers in der Vergangenheit:

"Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt." (Rdnr. 17)

Liegen entsprechende (Kurz-)Erkrankungen in der Vergangenheit vor, kann dann der Arbeitnehmer im Prozess der Indizwirkung einer negativen Gesundheitsprognose entgegentreten, in dem er sich (ausdrücklich) auf eine positive gesundheitliche Einschätzung seiner behandelnden Ärzte bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen beruft und diese Ärzte von der Schweigepflicht entbindet (die bloße Benennung der Ärzte als Zeugen und ihre Enbindung von der Schweigepflicht reicht dagegen nicht!). Dann muss wiederum der Arbeitgeber vortragen und beweisen, warum die Prognose doch negativ sei.

Bei unterschiedlichen Krankheitsarten scheiden bei der Pronose nur solche aus, die entweder auf einmaligen Ursachen beruhen oder aufgrund besonderer Therapiemaßnahmen (zum Beispiel Operation) ausgeheilt sind. Ansonsten können unterschiedliche Erkrankungen nämlich eine sog. allgemeine Krankheitsanfälligkeit bedingen, was nach der Rechtsprechung des BAG ausreichend wäre.

3.

Im entschiedenen Fall war der klagende Arbeitnehmer der negativen Gesundheitsprognose nicht (ausreichend) entgegengetreten, so dass die erste Stufe erfüllt war.

Die zweite Stufe - erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen - konnte angesichts von Entgeltfortzahlungszeiträumen von jeweils jährlich über sechs Wochen vom BAG unterstellt werden.

Die Kündigung scheiterte indes auf der dritten Stufe:

Die Arbeitgeberin konnte nicht darlegen und beweisen, dass die Kündigung verhältnismäßig war, d.h. insbesondere keine milderen Mittel zur Verfügung standen.

Hier wirkte sich zunächst aus, dass die Beklagte das bEM unterlassen hatte. Denn § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX verlangt:

"(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). ...."

Das bEM ist bei jedem Arbeitnehmer mit entsprechend langen Krankheitszeiträumen durchzuführen; eine Behinderung ist nicht Voraussetzung.

Das Unterlassen eines bEM führt zwar nicht für sich allein zur Unwirksamkeit der Kündigung; doch erleidet der Arbeitgeber erhebliche Nachteile im Prozess:

"Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs.2 SGB IX ist dennochkein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden." (Rdnr. 38)

Der Arbeitgeber kann sich dann nur noch auf eine objektive Nutzlosigkeit des bEM berufen, wobei er erhebliche Darlegungen tätigen muss. Denn er muss dann

"umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten." (Rdnr. 39)

4.

Der vorliegende Fall bot dem BAG Gelegenheit, die wesentlichen Anforderungen im Zusammenhang mit einem bEM darzustellen:

Die Initiative zum bEM obliegt dem Arbeitgeber. Die betriebliche Interessenvertretung ist bei entsprechendem Einverständnis des Arbeitnehmers zu beteiligen.

Die inhaltliche Durchführung des bEM ist gesetzlich nicht genau geregelt:

"Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs.2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs-und ergebnisoffener„Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll." (Rdnr. 30)

Gleichwohl sind gewisse Mindeststandards einzuhalten:

"Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden." (Rdnr. 30).

Wichtig für den Arbeitgeber: Er muss auf die Ziele des bEM hinwiesen (§ 84 Abs. 2 S. 3 SGB IX).

Insoweit verlangt das BAG sehr viel (Rdnr. 32):

"Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs.2 Satz 1SGB IX hinausgeht (BVerwG 23.Juni 2010 -6P 8/09-Rn.52, BVerwGE137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7.Februar 2012 -1ABR 46/10-Rn.19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGBIX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S.24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs.9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGBIX 4.Aufl. §84 Rn.62)."

Betriebsärztliche Untersuchungen allein können nach dem BAG kein bEM darstellen.

5.

Ein bEM kann auch dazu führen, dass zunächst Maßnahmen der Rehabilitation versucht werden. Gegebenenfalls kann der Arbeitgeber dann dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist mit Kündigungsandrohung setzen.

Gesetzlich vorgesehene Hilfen und Leistungen der Prävention und/oder Rehabilitation muss der Arbeitgeber in Erwägung ziehen.

(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))


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