BGH, 07.05.2015 - VII ZR 104/14: Streitverkündung zwischen Gesamtschuldnern ist zulässig
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in einem Urteil vom 07.05.2015 mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Gesamtschuldner, der vom Gläubiger gerichtlich in Anspruch genommen wird, einem weiteren Gesamtschuldner den Streit verkünden kann.
Hintergrund der Entscheidung bildet die Bestimmung des § 72 Abs. 1 ZPO:
"(1) Eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, kann bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden.
(2) ..."
Diese Bestimmung erlaubt die sog. Streitverkündung. Dabei handelt es sich um ein prozessuales Instrumentarium, mit dem der Streitverkünder gegenüber dem Streitverkündeten die sog. Bindungswirkung der §§ 74 i.V.m. 68 ZPO herbeiführen will.
(Symbolbild)
§ 68 ZPO lautet:
"Der Nebenintervenient wird im Verhältnis zu der Hauptpartei mit der Behauptung nicht gehört, dass der Rechtsstreit, wie er dem Richter vorgelegen habe, unrichtig entschieden sei; er wird mit der Behauptung, dass die Hauptpartei den Rechtsstreit mangelhaft geführt habe, nur insoweit gehört, als er durch die Lage des Rechtsstreits zur Zeit seines Beitritts oder durch Erklärungen und Handlungen der Hauptpartei verhindert worden ist, Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, oder als Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die ihm unbekannt waren, von der Hauptpartei absichtlich oder durch grobes Verschulden nicht geltend gemacht sind."
Die Vorschrift besagt - vereinfacht ausgedrückt -, dass der Streitverkündete in einem (etwaigen) späteren Folgeprozess mit dem Streitverkünder diesem nicht vorhalten kann, der erste Prozess sei vom Streitverkünder fehlerhaft geführt und deshalb verloren worden. Denn infolge der Streitverkündung hätte der Streitverkündete die Möglichkeit gehabt, selbst in den Erstprozess einzutreten und dort für eine richtige Entscheidung zu sorgen.
Sie dient, sofern zulässig, nicht zuletzt auch der Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB:
"(1) Die Verjährung wird gehemmt durch
...
6. die Zustellung der Streitverkündung,
..."
Streitverkündungen spielen in der Praxis eine große Rolle bei Fällen, in denen der zuerst in Anspruch genommene Beklagte einen Regressanspruch gegen einen Dritten haben könnte.
Im vorliegenden Fall ging es dagegen um eine Klage gegen einen Gesamtschuldner. Der Kläger hätte, anders als im klassischen Regressfall, von vornherein beide Gesamtschuldner zusammen verklagen können. Er machte dies allerdings nicht, so dass der beklagte Gesamtschuldner seine Regressmöglichkeit durch eine Streitverkündung auch prozessual absichern wollte und daher dem weiteren Gesamtschuldner den Streit verkündete.
Wie der BGH entschied, ist eine solche Streitverkündigung unter Gesamtschuldnern zulässig:
"Nach § 72 Abs.1 ZPO ist eine Streitverkündung unter anderem dann zulässig, wenn die Partei im Zeitpunkt der Streitverkündung aus in diesem Augenblick naheliegenden Gründen für den Fall des ihr ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Anspruch auf Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt (....). Die Streitverkündung ist ein in erster Linie den Interessen des Streitverkünders dienender prozessualer Behelf, der dazu bestimmt ist, verschiedene Beurteilungen desselben Tatbestandes zu vermeiden, das heißt den Streitverkünder durch die Bindungswirkung gemäß §§ 74, 68 ZPO vor dem Risiko zu bewahren, dass er wegen der materiellrechtlichen Verknüpfung der im Vor-und Folgeprozess geltend gemachten bzw. geltend zu machenden Ansprüche mehrere Prozesse führen muss, dabei aber Gefahr läuft, alle zu verlieren, obwohl er zumindest einen gewinnen müsste." (Rdnr. 22)
"... Ein Beklagter, der einen Gesamtschuldnerausgleichsanspruch gegen einen Dritten erheben zu können glaubt, ist dem vorstehenden genannten Risiko ausgesetzt, vor dem die mit der Streitverkündung verbundene Bindungswirkung gemäß §§ 74, 68 ZPO bewahren soll." (Rdnr. 25)
Wichtig: Ein Gläubiger, der gegen mehrere Gesamtschuldner vorgehen könnte, kann nicht zum Mittel der Streitverkündung greifen:
"Unzulässig ist eine Streitverkündung seitens des Klägers des Vorprozesses wegen solcher Ansprüche, die nach Lage der Dinge von vornherein gegenüber dem Beklagten des Vorprozesses als auch gegenüber dem Dritten geltend gemacht werden können, für die also aus der Sicht des Streitverkünders schon im Zeitpunkt der Streitverkündung eine gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten und des Dritten in Betracht kommt." (Rdnr. 24)
(Quelle: BGH, Urteil v. 07.05.2015, VII ZR 104/14)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))