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AutorenbildRechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Michael Kügler

BGH, 02.06.2015 - VI ZR 387/14: Zur Abrechung eines Verkehrsunfalls jenseits der 130%-Grenze

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hatte sich mit Urteil vom 02.06.2015 mit der Frage der Erstattungsfähigkeit von Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Fahrzeugs lagen, zu befassen.

Hintergrund der Entscheidung bildete ein Verkehrsunfall vom 02.10.2012.

1.

Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach stand außer Streit.

2.

Die Parteien stritten über die Höhe des Schadensersatzes.

Die Klägerin ließ vorgerichtlich den an ihrem Mercedes Benz C 200 D entstandenen Sachschaden vom einem Sachverständigen wie folgt ermitteln:

Reparaturkosten (brutto): € 2.973,49

Wiederbeschaffungswert: € 1.600,00

Restwert: € 470,00

Die Klägerin ließ den Mercedes, unter Verwendung von Gebrauchtteilen, reparieren für € 2.079,79.

(Dieser Betrag lag, bezogen auf den Wiederbeschaffungswert (€ 1.600,00), knapp unter der 130%-Grenze von € 1.600,00 * 1,3 = € 2.080,00)

3.

Die Beklagte zu 2 (wohl die Kfz-Haftpflichtversichererin für das gegnerische Fahrzeug) ging außergerichtlich von einem wirtschaftlichen Totalschaden aus und regulierte wie folgt:

Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert (€ 1.600,00) minus Restwert (€ 470,00)): € 1.130,00

Sachverständigenkosten: voll

vorgerichtliche RA-Kosten: € 229,55

Unfallpauschale: € 25,00

4.

Die Klägerin erhob Klage unter anderem auf die noch offenen Reparaturkosten in Höhe von (€ 2.079,79 - € 1.130,00 =) € 949,79.

Amtsgericht und Landgericht entschieden unterschiedlich.

Das Berufungsgericht hatte die Revision zum BGH zugelassen.


Symbolbild verunfalltes Auto

(Symbolbild)


5.

Vor dem BGH hatte die Klägerin keinen Erfolg:

a.

Der BGH führte zunächst zur maßgeblichen 130%-Grenze (Verhältnis Reparaturaufwand (Reparaturkosten zuzüglich etwaiger merkantiler Minderwert) zu Wiederbeschaffungswert) Folgendes aus (Fettdruck nicht im Original):

"Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz des Reparaturaufwands (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat." (Rdnr. 6)

Liegen der (voraussichtliche) Reparaturaufwand 30% über dem Wiederbeschaffungswert, so ist die Reparatur in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig, das Fahrzeug nicht mehr reparaturwürdig. Der Geschädigte kann dann nur noch die Kosten für den Ersatz eines gleichwertigen Fahrzeugs (Wiederbeschaffungswert minus Restwert) verlangen:

"Die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs ist - wovon das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgeht - in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig, wenn die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur - wie hier - mehr als 30% über dem Wiederbeschaffungswert liegen (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 2011 - VI ZR 79/10, aaO). In einem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist, kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur Ersatz der für die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeuges erforderlichen Kosten, also den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts, verlangen." (Rdnr. 7)

Die Schätzung der Reparaturkosten hat sich grundsätzlich an den Preisen einer markengebundenen Fachwerkstatt zu orientieren.

Beim Überschreiten der 130%-Grenze kommt somit für den Geschädigten nur eine Abrechnung auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwandes in Betracht.

b.

Der BGH weist allerdings darauf hin, dass er - ausnahmsweise - auch schon Abweichungen von dieser strengen Handhabung der 130%-Grenze zugelassen hat:

Eine solche Ausnahme kommt in Betracht, wenn es dem Geschädigten gelingt, doch noch - auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen - eine fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen (Fettdruck nicht im Original):

"Dementsprechend hat der erkennende Senat entschieden, dass jedenfalls in Fällen, in denen die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130%-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber - auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen - gelungen ist, eine nach Auffassung des sachverständig beratenen Berufungsgerichts fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, dem Geschädigten aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden kann (Senatsurteil vom 14. Dezember 2010 - VI ZR 231/09, VersR 2011, 282 Rn. 13)." (Rdnr. 8)

Die vorbezeichnete Ausnahme setzt also unter anderem voraus, dass der Wiederbeschaffungswert nicht übertroffen wird.

Der Wiederbeschaffungswert hätte im vorliegenden Fall € 1.600,00 betragen. Die von der Klägerin insgesamt begehrten Reparaturkosten (€ 2.079,29) lagen deutlich darüber.

c.

Damit stellte sich die Frage, ob eine weitere Ausnahme im Sinne des Geschädigten zu machen wäre, wenn zwar der Sachverständige in seiner Kostenschätzung zu einem Überschreiten der 130%-Grenze gelangt, der Anspruchsteller aber gleichwohl eine fachgerechte, dem Umfang des Gutachtens entsprechende Reparatur mit Reparaturkosten (knapp) unterhalb der 130%-Grenze durchführen kann.

Diese Frage hatte der BGH bisher offen lassen können:

"Ob der Geschädigte, wenn es ihm tatsächlich gelingt, entgegen der Einschätzung des Sachverständigen die von diesem für erforderlich gehaltene Reparatur innerhalb der 130%-Grenze fachgerecht in einem Umfang durchzuführen, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, Ersatz von über dem Wiederbeschaffungswert liegenden Reparaturkosten verlangen kann, konnte der Senat bisher offen lassen." (Rdnr. 9)

Auch im entschiedenen Fall musste der BGH diese Streitfrage nicht entscheiden, weil es an einer in jeder Hinsicht vollumfänglichen Reparatur fehlte:

"Die Frage bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Reparatur im Streitfall bereits nicht vollständig nach den Vorgaben des Sachverständigen S. erfolgt. Zwar stünde die Verwendung altersentsprechender und funktionsfähiger Gebrauchtteile einer vollständigen und fachgerechten Reparatur nach der vorgenannten Senatsrechtsprechung nicht grundsätzlich entgegen. Nach den getroffenen Feststellungen ist jedoch der vom Sachverständigen S. vorgesehene Austausch weiterer Zierleisten und des Kniestücks hinten links nicht erfolgt. Insoweit hilft es der Klägerin auch nicht, dass nach dem Gutachten des Gerichtssachverständigen C. 'keine optischen Mängel' vorhanden waren. Denn es kommt nicht darauf an, ob die verbliebenen Defizite optisch nicht stören. Vielmehr kommt es im Rahmen der Vergleichsbetrachtung allein auf den erforderlichen, d.h. nach objektiven Kriterien zu beurteilenden und deshalb auch unschwer nachzuprüfenden Reparaturaufwand an." (Rdnr. 10)

(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))


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