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  • AutorenbildFachanwalt für Arbeitsrecht Michael Kügler

BAG, 26.03.2015 - 2 AZR 237/14: Zum Beginn des Sonderkündigungsschutzes bei In-vitro-Fertilisation

Am 26.03.2015 hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit dem Beginn des Sonderkündigungsschutzes bei In-vitro-Fertilisation zu befassen.

Nach § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG gilt (Hervorhebung nicht im Original):

"(1) Die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird; ..."

Im entschiedenen Fall hatte eine Arbeitnehmerin als eine von zwei Arbeitnehmerinnen in der Versicherungsagentur des beklagten Arbeitgebers gearbeitet. Das Arbeitsverhältnis bestand seit Februar 2012; Ermahnungen und Abmahnungen wegen schlechter Leistung gab es keine.

Mitte Januar 2013 teilte sie mit, dass sie sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen werde; am 24. Januar 2013 erfolgte der Embryonentransfer.

Symbolbild schwangere Frau

(Symbolbild)

Am 31. Januar 2013 sprach der Beklagte die Kündigung aus. Die Zustimmung der Mutterschutzbehörde lag nicht vor. Später besetzte er die freigewordene Stelle mit einer älteren Mitarbeiterin.

Am 07. Februar 2013 wurde bei der Klägerin die Schwangerschaft festgestellt, was die Klägerin am 13. Februar 2013 dem Beklagten mitteilte.

Der Beklagte hielt an der Kündigung fest; die Klägerin erhob rechtzeitig Kündigungsschutzklage.

1.

Das BAG hielt die Kündigung zunächst wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG für unwirksam:

Denn im Falle einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) greife das Kündigungsverbot (ohne behördliche Zustimmung) bereits ab dem Zeitpunkt der Einsetzung der befruchteten Eizelle (Embryonentransfer). Der Zeitpunkt der erfolgreichen Einnistung (Nidation) ist für die Bestimmung des Beginns des Kündigungsschutzes nicht maßgeblich.

Dabei legt das BAG zunächst nochmals dar, wie es den Beginn der Schwangerschaft bei einer natürlichen Empfängnis bestimmt (280-Tage-Regel, Hervorhebung nicht im Original):

"In der Humanmedizin bezeichnet Schwangerschaft den Zustand der Frau von der Konzeption (dh. von dem zur Befruchtung führenden Verkehr) bis zur Geburt (vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Konzeption“ und „Schwangerschaft“). Die Schwangerschaftsdauer wird entweder post menstruationem (dh. vom ersten Tag der letzten Menstruation bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 280 Tagen oder post conceptionem (dh. von der Konzeption bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 263 bis 273 Tagen berechnet (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Schwangerschaftsdauer“). Die Berechnung hängt unter anderem davon ab, ob auf den körperlichen Zustand der Frau oder auf den Beginn des Lebens abgestellt wird (Reiner EuZA 2009, 79)." (Rdnr. 15)

"Bei natürlicher Empfängnis wird der Beginn des Kündigungsverbots aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird (st. Rspr., vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - Rn. 33; 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 88, 357). Dieser Zeitraum umfasst die mittlere Schwangerschaftsdauer, die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus zehn Lunarmonate zu je 28 Tagen - gerechnet vom ersten Tag der letzten Regelblutung an - beträgt. Er markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Damit werden auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist." (Rdnr. 16)

Diese Berechnung erfolgt somit zum Schutz der Schwangeren.

Weiter führt das BAG aus, dass bei einer In-vitro-Fertilisation weder die 280-Tages-Regel zur Anwendung gelangen, noch der Zeitpunkt der Nidation entscheiden kann (Hervorhebung nicht im Original):

"Aus Gründen der Rechtssicherheit kann eine Schwangerschaft bei Durchführung einer In-vitro-Fertilisation frühestens im Zeitpunkt des Embryonentransfers und nicht bereits mit Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Frau beginnen (EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 41, Slg. 2008, I-1017). Da das „Einfrieren“ befruchteter Eizellen (sog. Kryokonservierung) durch das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746), zuletzt geändert am 21. November 2011 (BGBl. I S. 2228)) zeitlich nicht begrenzt wird (§ 9 Nr. 4 des Gesetzes; vgl. Spickhoff/Müller-Terpitz Medizinrecht 2. Aufl. § 9 ESchG Rn. 2), könnte sich eine Arbeitnehmerin andernfalls unter Umständen mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG berufen (aA Reiner EuZA 2009, 79)." (Rdnr. 20)

"Da eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation keinesfalls vor dem Embryonentransfer beginnen kann, verbietet sich eine Rückrechnung um 280 Tage vom mutmaßlichen Geburtstermin. Damit würden - weil der erste Tag der letzten Menstruation notwendig früher liegen muss - auch Zeiten vor dem Transfer einbezogen, ohne dass es nötig wäre, auf diese Weise der Gefahr vorzubeugen, eine tatsächlich schon schwangere Frau vom besonderen Kündigungsschutz auszuschließen." (Rdnr. 21)

Der Zeitpunkt des Embryonentransfers biete auch Rechtssicherheit:

"Das Abstellen auf den Embryonentransfer bedeutet zudem Rechtssicherheit. Der Zeitpunkt des Transfers lässt sich problemlos feststellen." (Rdnr. 24)

Interessante Konsequenz: Die Anwendung des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG kann im Einzelfall nur bestimmt werden, wenn die Art der Empfängnis feststeht. Eine etwas eigenartige Konsequenz.

Ob insbesondere die Anwendung der 280-Tage-Regel in Zukunft in Fällen, in denen die Schwangere keine Auskunft über die Art der Empfängnis gibt, ausgeschlossen ist, ist (wohl) bisher nicht bedacht worden. Im entschiedenen Fall stellte sich die Frage aus tatsächlichen Gründen nicht.

In anderen Fällen wird man sich (wohl) auch mit verfassungsrechtlichen Erwägungen auseinandersetzen müssen. Zum Beispiel mit folgenden Ausführungen des BVerfG, Urteil v. 24.02.2015, 1 BvR 472/14:

"Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre der Einzelnen auch Aspekte des Geschlechtslebens und das Interesse, diese nicht offenbaren zu müssen. Der Schutz der Privat- und Intimsphäre umfasst Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als 'privat' eingestuft werden, insbesondere weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es gerade auch im Bereich der Sexualität der Fall ist. Fehlte es hier an einem Schutz vor der Kenntniserlangung anderer, wäre die sexuelle Entfaltung erheblich beeinträchtigt, obwohl es sich um grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen handelt (vgl. BVerfGE 101, 361 <382> m.w.N.). Mit dem Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre spezifisch geschützt ist das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem Partner nicht offenbaren zu müssen, sondern selbst darüber befinden zu können, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird (vgl. BVerfGE 117, 202 <233> m.w.N.)." (Rdnr. 29)

Man wird darüber hinaus (wohl) auch noch die Interessen des Erzeugers und des Kindes miteinbeziehen müssen.

2.

Im Übrigen sah das BAG im entschiedenen Fall einen weiteren Unwirksamkeitsgrund für die Kündigung:

Denn die Klägerin wurde durch die Kündigung auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Daher war die Kündigng auch wegen § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1 AGG unwirksam.

§ 1 Abs. 1 AGG benennt ausdrücklich auch das Geschlecht:

"Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen."

§ 7 Abs. 1 AGG normiert ein entsprechendes Benachteiligungsverbot:

"(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt."

Dieses bezieht sich nach § 2 Abs. 1 Nr. AGG auch auf Benachteiligung bei der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses.


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