BAG, 07.03.1995 - 3 AZR 282/94: Zum Feststellungsinteresse bei der Klage wegen Betriebsrente
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich in seiner Entscheidung vom 07.03.1995 mit einem Fall aus dem Betriebsrentenrecht zu befassen.
An dieser Stelle seien die Ausführungen des BAG zum sog. Feststellungsinteresse herausgegriffen. Damit ist die Frage umschrieben, ob ein (zukünftiger) Betriebsrenter auch schon (ggf. lange) vor dem Versorgungsfall (Renteneintritt) Fragen nach Grund und Höhe der Betriebsrente im Wege der Festellungsklage gerichtlich klären lassen kann oder ob er mit seiner Klage bis zum Renteneintritt warten und dann direkt auf Leistung der Betriebsrente klagen muss.
Prozessrechtlicher Hintergrund dieser Fragestellung ist die Bestimmung des § 256 Abs. 1 ZPO, die wie folgt lautet (Hervorhebung nicht im Original):
"(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde."
(Symbolbild)
Die Festellungsklage bedarf also eines besonderen rechtlichen Interesses (sog. Feststellungsinteresse).
Durch das Erfordernis eines solchen Interesses soll letztlich verhindert werden, dass die Justiz uferlos mit Feststellungsklagen "überschwemmt" werden könnte.
Im Zusammenhang mit Betriebsrenten wäre es allerdings sehr misslich, wenn ein Betriebsrenter die Klage erst bei Renteneintritt erheben könnte. Nicht nur, dass er dann einen langwierigen Prozess im Rentenalter führen müsste, sondern er könnte sich auch nicht auf eine sichere Rentenzahlung einstellen.
Das BAG hat daher ein Einsehen mit der besonderen Interessenlage der Betriebsrenter und lässt bei der Anerkennung des Feststellungsinteresses Großzügigkeit walten (Hervorhebung nicht im Original):
"Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht auch das für den Feststellungsantrag erforderliche Rechtsschutzinteresse; die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt." (Rdnr. 14)
"1. Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Ob die Klägerin die Regelaltersrente in Anspruch genommen hat und der Versorgungsfall eingetreten ist, kann offen bleiben. Ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis wird nicht erst mit Eintritt des Versorgungsfalles, sondern bereits mit Entstehen einer Versorgungsanwartschaft begründet." (Rdnr. 15)
"2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Inhalts ihrer Versorgungsrechte. Auch dabei spielt es keine Rolle, ob der Versorgungsfall bereits eingetreten ist." (Rdnr. 16)
"a) Da die Beklagte die von der Klägerin geltend gemachten Versorgungsrechte bestreitet, ist das betriebsrentenrechtliche Rechtsverhältnis durch eine tatsächliche Unsicherheit gefährdet. Ein Bedürfnis für eine alsbaldige Klärung besteht. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, erst nach Eintritt des Versorgungsfalles einen zeitraubenden Prozeß gegen ihren Arbeitgeber über Inhalt und Umfang ihrer Versorgungsrechte zu führen. Für die Versorgungsberechtigten ist es wichtig, daß Meinungsverschiedenheiten über Bestand und Ausgestaltung der Versorgungsrechte möglichst vor Eintritt des Versorgungsfalles geklärt werden. Vom Inhalt der Versorgungsrechte hängt es ab, in welchem Umfang Versorgungslücken entstehen. Auch ältere Arbeitnehmer können noch für ihren Ruhestand Vorsorge treffen. Sie können zumindest durch ihr Spar- und Konsumverhalten bestehenden Versorgungslücken Rechnung tragen." (Rdnr. 17)
Das BAG lässt die Feststellungsklage auch noch dann zu, wenn der Versorgungsfall bereits eingetreten ist:
"b) Auch wenn der Versorgungsfall eingetreten und eine Leistungsklage möglich ist, besteht noch ein Feststellungsinteresse. Der Vorrang der Leistungsklage gilt nicht uneingeschränkt, sondern dient der prozeßwirtschaftlich sinnvollen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Dementsprechend ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozeßwirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen. Im vorliegenden Fall erfordert die Bezifferung der Versorgungsleistungen zum einen die Aufklärung länger zurückliegender Sachverhalte und zum anderen aufwendige, schwierige Berechnungen, die wegen des differenzierten Systems der Zusatzversorgungskasse und der zahlreichen Satzungsänderungen nur von besonders geschulten Personen zuverlässig durchgeführt werden können. Beiden Parteien kann dieser Aufwand erst dann zugemutet werden, wenn feststeht, daß die Beklagte überhaupt dazu verpflichtet ist, der Klägerin eine den tariflichen Vorschriften entsprechende Versorgung zu verschaffen." (Rdnr. 18)
Die Rechtsprechung des BAG zur Bejahung des Feststellungsinteresses ist von einer bemerkenswerten Praxisorientierung geprägt.
(Quelle: BAG, Urteil v. 07.03.1995, 3 AZR 282/94)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler)