BAG, 25.05.2016 - 5 AZR 614/15: Rechtsanwalt kann keine ausreichende Fristenkontrolle darlegen
Mit Urteil vom 25.05.2016 lehnte das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Antrag auf Wiedereinsetzung in eine abgelaufene Frist zur Begründung einer Revision ab. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe einen Wiedereinsetzungsgrund weder dargelegt, noch glaubhaft gemacht.
Rechtlichen Ausgangspunkt des entschiedenen Falles bildete die Bestimmung des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Demnach beträgt die Frist zur Begründung der Revision zwei Monate:
"Die Frist für die Einlegung der Revision beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Revision zwei Monate."
Im vorliegenden Fall lief die Begründungsfrist am 16.12.2015 (Mittwoch) aus.
Der Schriftsatz mit der Revisionsbegründung traf (erst) am 17.12.2015 beim BAG auf dem Postwege ein.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit gerichtlichem Schreiben vom (zugestellt) 18.01.2016 auf das Eingangsdatum der Revisionsbegründung (erst) am 17.12.2015 hingewiesen wurde, beantragte er (unter Einhaltung der hierfür geltenden Frist und unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
(Symbolbild)
Der Antrag auf Wiedereinsetzung war zwar zulässig, aber unbegründet. Für seine Begründetheit hätte der Kläger, dem ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zugerechnet würde (§ 85 Abs. 2 ZPO), darlegen müssen, dass er ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Insofern heisst es nämlich in § 233 Satz 1 ZPO:
"War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren."
Die Anforderungen an das fehlende Verschulden sind hoch.
Der klägerische Prozessbevollmächtigte hatte sein Fristversäumnis wie folgt zu entschuldigen versucht:
"Der Kläger trägt vor, die seit fünf Jahren in der Kanzlei tätige, bisher stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte habe die Revisionsbegründung am 15. Dezember 2015 unterzeichnet vom Prozessbevollmächtigten mit der Anweisung erhalten, es handele sich um einen fristgebundenen Schriftsatz, der am selben Tag vorab per Telefax und auf dem Postweg an das Bundesarbeitsgericht zu übersenden sei. Die Angestellte habe vergessen, den Schriftsatz per Telefax zu versenden. Dieses Versäumnis sei erst aufgrund des gerichtlichen Hinweises festgestellt worden." (Rdnr. 11)
"Mit weiterem Schriftsatz trägt der Kläger vor, die Anweisung zur Versendung per Telefax sei mit Übergabe des unterzeichneten Schriftsatzes mündlich erteilt worden. Solche mündlichen Anweisungen seien in der Kanzlei vor allen anderen Arbeiten unverzüglich zu erledigen. Dies habe die Rechtsanwaltsfachangestellte auch so verstanden, aber während der Ausführung des Postversands die Anweisung zum Telefaxversand vergessen." (Rdnr. 12)
Diese Darlegungen genügten dem BAG nicht, da sie nicht geeignet seien, ein dem Kläger zurechenbares Verschulden des Prozessbevollmächtigten auszuschließen.
1. Keine hinreichende Ausgangskontrolle dargelegt
Der Prozessbevollmächtigte dürfte sich zwar - grundsätzlich - darauf verlassen, dass sein Büropersonal seine Anweisungen gewissenhaft befolge. Doch sei ein Prozessbevollmächtigter, der die Absendung fristwahrender Schriftsätze seinem Büropersonal überlasse, gehalten, eine hinreichende Ausgangskontrolle sicherzustellen.
Eine solche hinreichende Ausgangskontrolle setze eine nochmalige, abendliche, selbstständige Kontrolle durch eine hierzu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders voraus:
"Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird (st. Rspr., vgl. BGH 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15 - Rn. 8 mwN). Bei einer Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Ausgangskontrolle nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Die Überprüfung des Sendeberichts kann lediglich dann entfallen, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzleiangestellten angewiesen hat, die Frist erst nach telefonischer Rückfrage beim Empfänger zu streichen (vgl. BGH 25. Februar 2016 - III ZB 42/15 - Rn. 10)." (Rdnr. 22)
Der klägerische Prozessbevollmächtigte hatte eine solche Ausgangskontrolle nicht dargelegt:
"Den Darlegungen im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass eine Kanzleianweisung bestand, nach Übersendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax die entsprechende Frist erst nach vorheriger Überprüfung des Sendeprotokolls zu streichen. Ebenso wenig ist eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten dargetan, die sicherstellt, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wurde." (Rdnr. 24)
2. Auch keine fristsichernde Einzelanweisung dargelegt
Im Übrigen hatte der klägerische Prozessbevollmächtigte auch nicht behauptet, dass er eine hinreichend konkrete anwaltliche Einzelanweisung erteilt hätte, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen ausgleichen könnte.
Insbesondere hatte er nicht dargelegt, dass er seine Rechtsanwaltsfachangestellte im konkreten, entschiedenen Fall, angewiesen habe, den Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich beim Empfänger durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern:
"Eine Weisung, den Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich beim Empfänger durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, hat der Kläger im Wiedereinsetzungsverfahren nicht behauptet. Sein Vortrag erschöpft sich darin, der Prozessbevollmächtigte habe angewiesen, den Schriftsatz sogleich per Post und per Telefax zu übersenden. Konkrete Anweisungen, die an die Stelle einer allgemeinen Ausgangskontrolle hätten treten können, wurden nicht gegeben. Die Einzelweisung bestand lediglich darin, die Art und Weise, den Zeitpunkt sowie den Adressaten der Übermittlung zu bestimmen. Sie machte eine allgemeine organisatorische Regelung zur Kontrolle der Übersendung per Telefax und die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nicht entbehrlich und war nicht geeignet, etwa bestehende Kontrollmechanismen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen, außer Kraft zu setzen (vgl. BGH 25. Februar 2016 - III ZB 42/15 - Rn. 12)." (Rdnr. 26)
(Quelle: BAG, Urteil v. 25.05.2016, 5 AZR 614/15)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))