BVerwG, 17.03.2021 - 3 C 3.20: Ohne Ausfallerscheinungen MPU bereits ab BAK-Wert von 1,1 Promille
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte sich in einem Urteil vom 17.03.2021 mit dem Antrag eines ehemaligen Fahrerlaubnisinhabers (Kläger) auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu befassen.
Im entschiedenen Fall war der Kläger im Straßenverkehr erstmals mit einer Alkoholfahrt aufgefallen. Der Blutalkoholwert (BAK-Wert) wurde mit 1,3 Promille festgestellt. Das Strafgericht verurteilte den Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) und entzog ihm die Fahrerlaubnis (§ 69 StGB).
§ 316 StGB lautet:
"(1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315e) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist. (2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht."
(Symbolbild)
Wie sich aus dem Urteil der Vorinstanz (VGH Kassel, 22.10.2019 - 2 A 641/19) ergibt, wurde der Kläger am 12.11.2016 um 2.40 Uhr als Führer eines PKW einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen. Um 3:15 Uhr wurden bei einer Blutentnahme 1,3 Promille festgestellt. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 11.01.2017 wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrzeit von neun Monaten angeordnet. Bereits am 18.05.2017 beantragte der Kläger bei der Stadt Kassel die Neuerteilung der Fahrerlaubnis.
Die beklagte Stadt forderte den Kläger daraufhin auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) zur Klärung der Frage beizubringen, ob er trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch ein Fahrzeug sicher führen könne und nicht zu erwarten sei, dass er ein Kraftfahrzeug unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde. Nachdem der Kläger kein Gutachten vorlegte, lehnte die Beklagte die Neuerteilungsantrag unter Hinweis auf § 11 Abs. 8 S. 1 FeV ab.
§ 11 Abs. 8 FeV lautet:
"(8) Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Betroffene ist hierauf bei der Anordnung nach Absatz 6 hinzuweisen."
Zu Recht wie nun das BVerwG befand:
Die Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. a Alt. 2 FeV die Vorlage eines MPU-Gutachtens zu verlangen.
§ 13 S. 1 Nr. 2 lit. a FeV lautet:
"Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass
[...]
2.
ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn
a)
nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,"
Soweit das Berufungsgericht aus der in § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c FeV genannten 1,6-Promille-Grenze den Schluss gezogen habe, dass unterhalb dieses Wertes keine Gutachtensanordnung durch die Fahrerlaubnisbehörde in Betracht käme, folgt das BVerwG dieser Auffassung nicht. Der Regelung in lit. c komme keine "Sperriwirkung" zu.
Vielmehr können nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung ausgegangen werden, wenn der Betroffene bei seiner Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr aufweise. Außerdem müsse festgestellt und dokumentiert worden sein, dass er dennoch keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zeige.
(Quelle: BVerwG, Urteil v. 17.03.2021, 3 C 3.20; Pressemitteilung Nr. 18/2021)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Kassel)
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