BAG, 23.02.2016 - 3 AZR 960/13: Zur Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in Gesamtzusage
Mit Urteil vom 23.02.2016 hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage der Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung (BV) in eine Gesamtzusage zu befassen.
Hintergrund der Entscheidung bildete eine Entscheidung zur betrieblichen Altersversorgung in einem Versicherungsunternehmen.
Die Arbeitgeberin hatte dort mit anderen Unternehmen derselben Versicherungsgruppe einen sog. "Gesamtbetriebsrat" eingerichtet und mit diesem über Fragen der betrieblichen Atersversorgung verhandelt und auch Absprachen getroffen.
(Symbolbild)
§ 47 Abs. 1 BetrVG, der die Institution des Gesamtbetriebsrates regelt, schreibt allerdings vor, dass der Gesamtbetriebsrat für ein Unternehmen besteht:
"(1) Bestehen in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte, so ist ein Gesamtbetriebsrat zu errichten.
..."
(Vereinbarungen im Sinne des § 3 BetrVG (alte Fassung) waren nicht getroffen.)
"Bei den verschiedenen Gesellschaften der Z Versicherungsgruppe bestanden in der Bundesrepublik einzelne Betriebsräte. Diese in verschiedenen Betrieben unterschiedlicher Unternehmen gewählten Betriebsräte bildeten ein gesondertes Verhandlungsgremium, das im allgemeinen Sprachgebrauch 'Gesamtbetriebsrat' genannt wurde. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 1 BetrVG, da dieses Gremium für verschiedene Unternehmen gebildet worden war. Eine tarifliche Regelung nach § 3 BetrVG aF bestand nicht." (Rdnr. 7)
Eine wirksame BV (mit dem nicht existenten Gesamtbetriebsrat) lag daher nicht vor:
"Das Landesarbeitsgericht ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass die Gemeinsame Erklärung als Betriebsvereinbarung unwirksam ist, weil auf Betriebsratsseite mit dem 'Gesamtbetriebsrat' ein Gremium gehandelt hat, das vom Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehen ist." (Rdnr. 24)
Das Urteil beschäftigte sich daher in weiten Teilen mit der Frage, ob sich die (unwirksame) BV nach § 140 BGB in eine Gesamtzusage umdeuten ließe.
Das BAG legt zunächst dar, dass im allgemeinen eine Umdeutung einer (unwirksamen) BV in eine Gesamtzusage ausscheidet, da nicht angenomen werden könne, dass sich die Arbeitgeberin neben der Regelung in der BV auch (weitergehend) mittels der Gesamtzusage individualvertraglich binden wolle:
"Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, eine unwirksame Betriebsvereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung (Gesamtzusage oder gebündelte Vertragsangebote) umzudeuten. Eine solche Umdeutung kommt allerdings nur in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung jederzeit lösen kann, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine Gesamtzusage wird, grundsätzlich nur einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung möglich ist. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden, kann daher nur in Ausnahmefällen angenommen werden." (Rdnr. 25)
Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung könne allerdings eine Ausnahme in Betracht kommen, die der Umdeutung der (unwirksamen) BV in eine Gesamtzusage den Weg öffnet, da die Änderungsmöglichkeiten der beiden Rechtsinstitute ähnlich sind:
"Des Weiteren ist zu beachten, dass sich die Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich von einer Gesamtzusage über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einerseits und einer Betriebsvereinbarung über solche Leistungen andererseits zu lösen, nicht wesentlich unterscheiden. Der Arbeitgeber kann sich auch von seinen auf Betriebsvereinbarungen beruhenden Verpflichtungen auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Kündigung der Betriebsvereinbarung nur unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes lösen. Diese Grundsätze gelten auch bei Gesamtzusagen, mit denen der Arbeitgeber - wie regelmäßig - Leistungen nach den jeweils bei ihm geltenden Versorgungsregelungen zusagt." (Rdnr. 29)
(Quelle: BAG, Urteil v. 23.02.2016, 3 AZR 960/13)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))