BAG, 21.04.2016 - 8 AZR 474/14: Zur Wirksamkeit eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses
In einer Entscheidung vom 21.04.2016 hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) unter anderem mit der Wirksamkeit und den Wirkungen eines von einem Arbeitnehmer abgegebenen Schuldanerkenntnisses zu befassen.
Im entschiedenen Fall ging es um den Vorwurf der Manipulation von Leergutbuchungen.
Der betroffene Arbeitnehmer war seit dem 13.06.2001 bei der Arbeitgeberin in einem Abholmarkt beschäftigt. Er hatte unter anderem die Aufgabe, Leergut entgegenzunehmen, die Leergutmenge eigenverantwortlich zu zählen, die Pfandbeträge an die Kunden auszuzahlen bzw. gutzuschreiben und die Vorgänge in der Kasse zu verbuchen.
Im Herbst 2008 wurde festgestellt, dass dieser Arbeitnehmer seit Januar 2007 fingierte Geschäftsvorgänge erfasst hatte. Der Arbeitnehmer wurde daraufhin überwacht. Nach einem einschlägigen Vorfall wurde er zunächst dazu veranlasst, ein umfangreiches handschriftliches "Schuldeingeständnis" abzugeben, wozu er etwa eine halbe Stunde Zeit. Während dieser wurde er immer wieder aufgesucht und nach dem Fortgang befragt.
Das "Schuldeingeständnis" lautete:
"- seit Januar 07 habe ich in größerer Ordnung Leergutnummern genohmen um Falsche Bestände auszugleichen
- diese Falschen Bestände entstanden dadurch das ich Ware ohne Bezahlung und realen Bon an den Kunden mit der KD ausgegeben habe, mit Bon dem Kunden W
- mir war schon bewußt das es irgendwann auffällt und das die Sache nachzuvollziehen ist
- ich bin aber mit der Leichtgläubigkeit rangegangen das es nicht so schnell passiert weil niemand etwas sagte oder auch keine Info kam das irgendetwas falsch läuft bei den Beständen
- ich alleine habe die Waren rausgeben ohne das wissen anderer Kollegen. Wenn diese gefragt haben hab ich gesagt die Ware sei verkauft worden
- die Rechnungen habe ich auch auf andere Bedienernummern getätigt während diese Kollegen beschäftigt waren ohne deren Wissen
- auch die Warenausgabe erfolgt nach diesem Schema immer nur wenn Kollegen zur Pause waren oder ich alleine im Getränkemarkt war
- ich habe die Bestellungen mir aufgeschrieben sowie der Kunde die Ware brauchte und danach meine Bestellungen ausgerichtet
- mir war nicht bewußt das sich das schon so summiert hat
- ich glaube das mein persönlicher Gewinn so bei 60 - 80 tausend Euro belag. Wobei ich da keinen Nachweis drüber geführt habe. Ich habe einen Teil des Geldes immer genohmen um diese Rechnungen zu machen
- der Kunde hat mich nie unter Druck gesetzt ich tat es aus freien stücken heraus
- ich wollte eigentlich damit im Februar 08 aufhören, weil aber nach der Inventur nichts aufkam das große Differenzen beim Leergut vorhanden waren machte ich weiter
- am Anfang waren es nur so hundert Kästen die Woche bevor wir entschlossen mehr zu machen
- danach steigerte sich das immer mal und lag in der Regel zwischen 400 - 600 Kästen
- die Rechnungen machte ich meistens nur einmal am Tag in meiner Schicht außer die Umsätze liefen gut wie Dienstags oder Donnerstags und Freitags da waren es dann auch mal zwei Rechnungen in meiner Schicht
- ich lebte allerdings ständig mit der Angst das alles auffliegt und das machte mir immer zu schaffen.“
Anschließend gab der Kläger noch folgende, handschriftliche Erklärung nach Diktat ab:
„Schuldanerkenntnis
Herr J erkläre zu meinem Protokoll v. 8.10.08 folgendes:
Schuldanerkenntnis:
Hiermit erkenne ich, J, mein fehlerhaftes Verhalten bei der von mir manipulierten Rechnungslegung sowie meine Verstöße in der Einhaltung der betrieblichen Festlegungen im Geldverkehr zwischen Kunden und der Firma H GmbH an. Durch mein vorsätzliches Fehlverhalten ist o.g. Firma ein Schaden in Höhe von 210.000 Euro zzgl. gesetzl. Mehrwertsteuer entstanden, die ich der Firma schulde. Ich weiß, dass ich entgegen bestehender Weisungen gehandelt habe und erkenne meine Schadenersatzpflicht an. Wegen und in Höhe der vorgenannten Forderung unterwerfe ich mich der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in mein gesamtes Vermögen.
Ich beantrage, der Firma H GmbH eine vollstreckbare Ausfertigung dieser Urkunde jetzt und ohne Fälligkeitsnachweis zu erteilen.
Die Kosten dieser Urkunde und der vollstreckbaren Ausfertigung für o.g. Firma trage ich.
J“
Zu einer notariellen Beurkundung kam es nicht. Vielmehr widerrief der Arbeitnehmer seine vorbezeichneten Erklärungen mit Schreiben vom 13.10.2008 teilweise:
"Hiermit möchte ich mein Geständnis vom 8.10.08 teilweise zurückziehen. Dieses Schuldeingeständniss wurde von mir durch Druck von ihnen unterschrieben und dich möchte teile davon zurückziehen. Ich habe Kundennummern benutzt um falsche Bestände auszugleichen. Ich sehe ein das ich der Firma H GmbH Schaden zugefügt habe. Ich bin bereit die Summe von 10000 Euro bis 22.10.08 zu bezahlen. Sie sehen doch sicher auch ein das ich die von ihnen angegebende Summe nie in meinem Leben zurückzahlen könnte. Nach meinem derzeitigem Gehalt könnt ich diese Summe nicht zurückzahlen. Meines Wissens wurde kein größerer Schaden verursacht. Deshalb bitte ich sie darum dieses Angebot von mir nochmal zu überdenken und mir ihre Entscheidung mitzuteilen.“
Am 24.10.2008 zahlte er den angekündigten Betrag von € 10.000,00 an die Arbeitgeberin.
Weitere Zahlungen leistete er nicht.
Die Arbeitgeberin verklagte daraufhin (u.a.) den Arbeitnehmer auf weiteren Schadensersatz in Höhe von € 200.000,00.

(Symbolbild)
Zu Recht, wie das BAG entschied:
Der beklagte Arbeitnehmer habe unter dem 08.10.2008 ein wirksames deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben und sei daher mit Einwendungen ausgeschlossen:
"Der Beklagte zu 1. kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, der Schaden habe sich tatsächlich auf lediglich 10.000,00 Euro belaufen; auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin an der Entstehung des Schadens ein erhebliches Mitverschulden treffe. Aufgrund des von ihm unter dem 8. Oktober 2008 abgegebenen deklaratorischen Schuldanerkenntnisses ist der Beklagte zu 1. mit sämtlichen Einwendungen zur Höhe des von ihm verursachten Schadens und zu einem etwaigen Mitverschulden der Klägerin an der Entstehung des Schadens (§ 254 BGB) ausgeschlossen." (Rdnr. 20)
Es läge kein abstraktes Schuldanerkenntnis, sondern ein deklaratorisches vor:
"Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, das seine Grundlage in der Vertragsfreiheit (§ 311 Abs. 1 BGB) hat, ist demgegenüber ein vertragliches kausales Anerkenntnis, mit dem eine bestehende Schuld lediglich bestätigt wird. Ein solches Schuldanerkenntnis setzt voraus, dass die Vertragsparteien das Schuldverhältnis ganz oder teilweise dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien entziehen und es endgültig festlegen wollen (vgl. etwa BAG 4. August 2015 - 3 AZR 137/13 - Rn. 35; 22. Juli 2010 - 8 AZR 144/09 - Rn. 20; 15. März 2005 - 9 AZR 502/03 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 114, 97). Die Angabe des Schuldgrundes in der Vereinbarung spricht deshalb entscheidend für das Vorliegen eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses, durch das eine bereits bestehende Schuld bestätigt werden soll (vgl. BGH 11. Dezember 2015 - V ZR 26/15 - Rn. 13)." (Rdnr. 26)
In der Folge ist der Beklagte mit sämtlichen - ihm bekannten und solchen, mit denen er bei Abgabe der Erklärung rechnen musste - Einwendungen gegen die anerkannte Forderung ausgeschlossen:
"Das deklaratorische Schuldanerkenntnis des Beklagten zu 1. hat zur Folge, dass dieser mit sämtlichen Einwendungen rechtlicher und tatsächlicher Natur und der Geltendmachung sämtlicher Einreden ausgeschlossen ist, die ihm bei Abgabe seiner Erklärung bekannt waren oder mit denen er zumindest rechnete (vgl. BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 144/09 - Rn. 20; 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 c der Gründe; BGH 11. Dezember 2015 - V ZR 26/15 - Rn. 13; 30. Mai 2008 - V ZR 184/07 - Rn. 12). Da dem Beklagten zu 1. bei Abgabe des Schuldanerkenntnisses sämtliche Einwendungen zur Höhe des von ihm verursachten Schadens und zu einem etwaigen Mitverschulden der Klägerin an der Entstehung des Schadens bekannt waren, ist er mit der Geltendmachung eben dieser Einwendungen ausgeschlossen." (Rdnr. 27)
Dieses deklaratorische Schuldanerkenntnis war auch nach Auffassung des BAG nicht etwa unwirksam, insbesondere war es nicht sittenwidrig oder anfechtbar:
"Der Beklagte zu 1. hat das 'Schuldeingeständnis' auch abgefasst, ohne von der Klägerin in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinträchtigt worden zu sein. Dies folgt bereits daraus, dass der Beklagte zu 1. zur Anfertigung des Schuldeingeständnisses über etwa eine halbe Stunde und damit über einen nicht unerheblichen Zeitraum im Büro der Klägerin allein gelassen wurde, innerhalb dessen er die Tragweite seines Handelns einschätzen und danach seine Entscheidung treffen konnte und dass er diese Zeit erkennbar genutzt hat, um ein ausführliches Schuldeingeständnis anzufertigen. ..." (Rdnr. 35)
Und weiter:
"Die Klägerin durfte aufgrund der mündlichen Angaben des Beklagten zu 1. sowie des Inhalts seines Schuldeingeständnisses davon ausgehen, dass der Beklagte zu 1. durch sein Fehlverhalten insgesamt einen Schaden iHv. 210.000,00 Euro verursacht hatte. Ausgehend von einem vom Beklagten zu 1. eingeräumten Gewinnanteil von einem Drittel sowie einem persönlichen Gewinn in einer Größenordnung zwischen 60.000,00 Euro und 80.0000,00 Euro errechnet sich unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen persönlichen Gewinns des Beklagten zu 1. iHv. 70.000,00 Euro ohne weiteres ein Betrag iHv. 210.000,00 Euro. Dieser Betrag korrespondiert auch mit den vom Beklagten zu 1. im Schuldeingeständnis eingeräumten Manipulationen im Umfang von wöchentlich 400 bis 600 Leergutkästen. Bei einem durchschnittlichen Preis von 4,50 Euro pro Kasten inklusive Leergut über einen Zeitraum von 90 Wochen ergibt sich unter Zugrundelegung wöchentlicher Manipulationen im Umfang von im Durchschnitt 500 Leergutkästen bereits ein Betrag iHv. 202.500,00 Euro." (Rdnr. 38)
(Quelle: BAG, Urteil v. 21.04.2016, 8 AZR 474/14)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))