BAG, 22.09.2016 - 2 AZR 276/16: Massenentlassung - Zur Beendigung des Konsultationsverfahrens
Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 22.09.2016 darf der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG mit dem Betriebsrat als beendet ansehen, wenn der Betriebsrat keine weitere Verhandlungsbereitschaft über Maßnahmen zur Vermeidung oder Einschränkung von Massenentlassungen erkennen lässt.
§ 17 Abs. 2 KSchG sieht umfangreiche Informationspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat vor:
"(2) Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach Absatz 1 anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über
1. die Gründe für die geplanten Entlassungen,
2. die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
3. die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
4. den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
5. die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
6. die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern."
Im entschiedenen Fall hatte sich die Arbeitnehmerin (Klägerin) in einem Kündigungsschutzprozess gegen zwei Kündigungen der Arbeitgeberin (Beklagten) gewandt. Bei der Beklagten handelte es sich um ein Unternehmen, welches Passagedienstleistungen an Flughäfen erbrachte. Die einzige Auftraggeberin kündigte sämtliche Aufträge bis Ende 03/2015.
(Symbolbild)
Ein Interessenausgleich scheiterte in 12/2014..
Daraufhin leitete die Beklagte ein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ein und entschied Ende 01/2015, ihren Betrieb zum 31.03.2015 stillzulegen. Sie teilte der Bundesagentur für Arbeit eine (erste) Massenentlassungsanzeige mit und kündigte alle Arbeitsverhältnisse.
Allerdings wurden einige dieser Kündigungen aufgrund von Kündigungsschutzklagen wegen vermeintlicher Mängel im Verfahren des § 17 KSchG für unwirksam erklärt.
Daraufhin leitete die Beklagte in 06/2015 ein weiteres Konsultationsverfahren ein und beriet mit dem Betriebsrat über eine mögliche „Wiedereröffnung“ des Betriebs. Nachdem der Betriebsrat keine Bereitschaft erkennen ließ, an vorgeschlagenen Maßnahmen der Beklagten mitzuwirken, kündigte diese - nach einer erneuten Massenentlassungsanzeige - die verbliebenen Arbeitsverhältnisse vorsorglich ein zweites Mal.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) hielt beide Kündigungen für unwirksam.
Auf Revision der Beklagten gab das BAG dieser teilweise Recht:
Die erste Kündigung sei allerdings gemäß § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG unwirksam. § 17 Abs. 3 KSchG lautet:
"(3) Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muß zumindest die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Anzeige nach Absatz 1 ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. Die Anzeige muß Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. In der Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten. Der Betriebsrat kann gegenüber der Agentur für Arbeit weitere Stellungnahmen abgeben. Er hat dem Arbeitgeber eine Abschrift der Stellungnahme zuzuleiten."
Denn die Beklagte habe den Stand der Beratungen mit dem Betriebsrat nicht korrekt dargelegt.
Die zweite Kündigung sei dagegen wirksam. Die Beklagte habe insbesondere das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt. Sie habe dem Betriebsrat auch alle erforderlichen Auskünfte erteilt, damit dieser auf den Entschluss zur Betriebsstilllegung einwirken konnte. Auch durfte die Beklagte das Konsultationsverfahren als gescheitert ansehen.
Auch sonst lagen für das BAG keine Unwirksamkeitsgründe vor.
(Quelle: BAG, Urteil v. 22.09.2016, 2 AZR 276/16; Pressemitteilung Nr. 52/16)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))