AG Bad Hersfeld, 11.06.2021 - 71 OWi 37/21: Zur "ausnahmsweisen" Einsicht in die komplette Messreihe
Das Amtsgericht (AG) Bad Hersfeld hatte sich im Rahmen eines Verfahrens nach § 62 OWiG (Antrag auf gerichtliche Entscheidung) mit dem Antrag der Verteidigung an die Verwaltungabehörde zu befassen, wonach im Rahmen eines Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens Einsicht in die komplette Messerie begehrt wurde.
Mit Beschluss vom 11.06.2021 entsprach das AG dem Antrag der Verteidigung und gab dem zuständigen Regierungspräsidium Kassel auf,
"die zum Tattag gehördenden Falldateien der kompletten Messreihe an den Betroffenen herauszugeben."
Hintergrund bildete ein Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen wegen einer (angeblichen) Geschwindigkeitsüberschreitung vom 05.02.2021. Gemessen wurde mit dem Gerät ESO ES 3.0.
(Symbolbild)
Die Verteidigung hatte im Rahmen des Verfahrens vor der Bußgeldbehörde einen Sachverständigen mit der Überprüfung der Messung beauftragt.
Der Sachverständige stellte fest, dass es im Rahmen der Messung zu in der Bußgeldakte nicht dokumentierten Änderungen am Messaufbau gekommen sein muss. Zur weiteren Überprüfung der Messung sei daher Einsicht in die gesamte Messreihe erforderlich.
Der entsprechende Antrag wurde von der Bußgeld- bzw. Messbehörde abgelehnt.
Die Verteidigung machte daher von § 62 OWiG Gebrauch:
"(1) Gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden, können der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, gerichtliche Entscheidung beantragen. Dies gilt nicht für Maßnahmen, die nur zur Vorbereitung der Entscheidung, ob ein Bußgeldbescheid erlassen oder das Verfahren eingestellt wird, getroffen werden und keine selbständige Bedeutung haben.
(2) Über den Antrag entscheidet das nach § 68 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309 und 311a der Strafprozeßordnung sowie die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens gelten sinngemäß. Die Entscheidung des Gerichts ist nicht anfechtbar, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt."
Die Verteidigung wies auf die neuere Rechtsprechung des OLG Jena, Beschluss vom 17.03.2021, 1 OLG 331 SsBs 23/20 hin, wonach generell ein Einsichtsrecht in die gesamte Messerie bestünde.
Hilfsweise wies die Verteidigung auf die konkreten Bedenken des Sachverständigen gegen die Messung hin.
Das AG gab dem Antrag statt, wobei (nur)
"ausnahmesweise von einem Einsichtsrecht in die komplette Messreihe auszugehen"
sei.
(Quelle: AG Bad Hersfeld, Beschluss v. 11.06.2021, 71 OWi 37/21)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Kassel)
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