BAG, 25.03.2021 - 6 AZR 264/20: Zur Vergütung von ärztlichem Hintergrunddienst
Immer wieder stellt sich gerade bei Beschäftigten in Krankenhäusern die Frage, wie ärztlicher Hintergrunddienst zu vergüten ist.
Mit einer solchen Frage hatte sich auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil vom 25.03.2021 zu befassen.
Konkret ging es um die Frage, ob ärztlicher Hintergrunddienst nach § 9 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) als zu vergütende Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst einzuordnen ist.
§ 9 TV-Ärzte/TdL lautet (auszugsweise):
"(1) Für die Rufbereitschaft wird eine tägliche Pauschale je Entgeltgruppe gezahlt. Für eine Rufbereitschaft von mindestens zwölf Stunden wird für die Tage Montag bis Freitag das Zweifache, für Samstag, Sonntag sowie für Feiertage das Vierfache des tariflichen Stundenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe (individuelles Stundenentgelt) gezahlt. [...]
(2) Zur Berechnung des Entgelts wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit in zwei Stufen als Arbeitszeit gewertet. [...]
[...]"
Im entschiedenen Fall hatte ein Oberarzt geklagt. Dieser verrichtete außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hintergrunddienste. Während dieser Zeit musste er telefonisch erreichbar sein. Im übrigen gab es keine ausdrücklichen Vorgaben hinsichtlich seines Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hatte.
Im praktischen Einsatz kam es während des Hintergrunddienstes sowohl zu Einsätzen des Klägers in der Klinik, als auch zu rein telefonischen Inanspruchnahmen. Die telefonischen Inanspruchnahmen überwogen. Der klagende Oberarzt hatte auch mögliche Organtransplantationsangebote der Stiftung Eurotransplant zu bearbeiten., wobei der Kläger hierbei Entscheidungen gegenüber Eurotransplant innerhalb von 30 Minuten treffen musste.
Die beklagte Arbeitgeberin vergütete die Hintergrunddienste gemäß § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL als Rufbereitschaft im Sinne des § 7 Abs. 6 S. 1 TV-Ärzte/TdL.
§ 7 Abs. 6 TV-Ärzte/RdL lautet:
"(6) Die Ärztin/Der Arzt hat sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). Der Arbeitgeber darf Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Rufbereitschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Ärzte vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel ausgestattet sind. Durch tatsächliche Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft kann die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden überschritten werden (§§ 3, 7 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 4 Arbeitszeitgesetz)."
Der Kläger war mit einer Vergütung "nur" als Rufbereitschaft nicht einverstanden. Er verlangte eine Vergütung als Bereitschaftsdienst.
(Symbolbild)
Von dem Landesarbeitsgericht bekam der Kläger für den Zeitraum von August 2017 bis Juni 2018 eine Vergütungsdifferenz von rund 40.000,00 € zuerkannt.
Das BAG sah die Sache indes anders. Aus seiner Sicht handelte es sich bei der vom Kläger im Rahmen der Hintergrunddienste geleisteten Tätigkeit "nur" um Rufbereitschaft.
Maßgeblich für die Abgrenzung sei der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung, wobei es auch bei der Rufbereitschaft für den Arbeitnehmer keine völlige Freiheit hinsichtlich der Wahl des Aufenthaltsortes gebe. Denn der Arbeitnehmer könne sich nur so weit vom Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit alsbald dort aufnehmen könne. Dies sei im vorliegenden Falle noch gewahrt. Denn die Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, stelle keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung dar.
Allerdings düfe nach § 7 Abs. 6 S. 2 RV-Ärzte/TdL Rufbereitschaft nicht angeordnet werden, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfalle.
Im vorliegenden Fall wurde der Kläger in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen und habe zu 4 % aller Rufbereitsschaftstunden tatsächliche Arbeit geleistet. Hierbei komme es entgegen der Meinung der Beklagten nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik fortzusetzen waren, was in mehr als einem Viertel der Rufbereitschaften vorkomme.
Nach dem BAG hätte daher die beklagte Arbeitgeberin in der Gesamtschau der vorbezeichneten Umstände die vom Kläger geleisteten Hintergrunddienste nicht anordnen dürfen. Die Anordnung der Rufbereitschaft war also tarifwidrig.
Trozdem versagte das BAG dem Kläger aber eine höhere Vergütung. Da nach dem Tarifvertrag weder beim Bereitschaftsdienst noch bei der Rufbereitschaft ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil begriffsimmanent sei, hätten die Tarifvertragsparteien für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft bewusst keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen.
(Quelle: BAG, Urteil v. 25.03.2021, 6 AZR 264/20; Pressemitteilung Nr. 6/21)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Kassel)
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